Der Mangel an freien Therapieplätzen ist in Deutschland wohl die größte Barriere, die eine zeitnahe Behandlung psychischer Erkrankungen verhindert. Psychische Krisensituationen würden sich seltener zu manifesten psychischen Erkrankungen auswachsen, wenn sie rasch durch professionelle Hilfe abgemildert und konstruktive Lösungswege erarbeitet werden könnten. Neu aufgetretene psychische Erkrankungen, wie etwa eine depressive Episode (ICD-10 F 32) oder eine Panikstörung (F 41.0), könnten bereits in der Akutphase günstig beeinflusst werden, indem hilfreiche Bewältigungsstrategien vermittelt und ungünstige vermieden werden würden. Einer Chronifizierung psychischer Erkrankungen könnte auf diese Weise vorgebeugt und so hohe Kosten im Gesundheitswesen eingespart werden.
Während es kaum Widerspruch zu dem oben Gesagten gibt, ist der Grund für die Miesere umstritten: Auf der einen Seite erleben meine Kolleginnen und Kollegen täglich einen immensen Ansturm von Rat- und Hilfesuchenden per Mail und Telefon und müssen diese trotz erkennbaren Bedarfes enttäuschen. Auf der anderen Seite bestreiten andere Akteure in Politik und Gesundheitswesen, dass überfüllte Praxen die Ursache des Problems seien. Im Gegenteil seien ungenutzte Kapazitäten vorhanden, da die Kassensitze nicht voll ausgenutzt werde würden. (Anmerkung: Es handelt sich um einen freien Beruf, die Kolleginnen und Kollegen tragen das volle unternehmerische Risiko ihrer Praxen und sind keine Angestellten des Staates.) So wurde schließlich auch die Psychotherapie eine Facharztleistung, die über die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen vermittelt werden kann, verbunden mit dem Rechtsanspruch der Patienten auf einen Termin binnen vier Wochen.
Wie an anderer Stelle bereits erläutert, ist Psychotherapie jedoch eine zeitgebundene Leistung. Jede Sitzung sollte mindestens 50 Minuten dauern. Hinzu kommen administrative Aufgaben, Auswertung von Tests, Therapieplanung, Berichte und Gutachten, Abrechnung etc. Es ist also nicht möglich, verpflichtende Termine durch die Terminservicestelle unterzubringen, ohne dass der Praxisbetrieb dadurch beeinträchtigt wird. Bestandspatienten können seltener Termine bekommen und insgesamt wird die Kapazität weiter eingeschränkt. So kommt es, dass die Patientinnen und Patienten, die über die Terminservicestelle zugewiesen werden, sehr oft die Praxen nach einem einmaligen Termin verlassen mit der Bestätigung, dass sie eine Psychotherapie benötigen, jedoch ohne die Aussicht, in der gleichen Praxis zeitnah einen Therapieplatz zu erhalten.
Was wirklich gegen den Notstand in der Psychotherapie helfen würde, wäre eine Zulassungsregelung für Psychotherapeuten anhand der Einwohnerzahl (wie bei den Zahnärzten) und nicht anhand einer fehlerhaften und veralteten Bedarfsplanung. Nach dieser Berechnung besteht in Kiel derzeit eine Überversorgung mit Psychotherapeuten von rund 150% (Quelle: KVSH-Bedarfsplan).
Ein Placebo ist ein Scheinmedikament. Es hat dennoch eine Wirkung, indem es eine positive Erwartung weckt, die wiederum Selbstheilungskräfte auslösen und einen tatsächliche Verbesserung der Krankheit bewirken kann. Die Terminservicestelle für Psychotherapie ist eigentlich nicht einmal das: Sie weckt Erwartungen, die dann jedoch nur enttäuscht werden. Sie hat frustrierte Patientinnen und Psychotherapeuten, noch vollere Praxen und immer längere Wartezeiten zur Folge. Damit ist sie genau genommen kein Placebo, sondern ein Scheinmedikament, dass schadet.