Jeden Tag intensiv mit Menschen zu arbeiten, sich in ihre Welt und Problemlagen zu vertiefen, gemeinsam an einer Veränderung zu arbeiten und Rückschläge und Schweres auszuhalten, ist ohne Zweifel eine Aufgabe, die Kraft kostet und eine mentale Belastung ist. Daher sind Stressmanagement, Erholung und Selbstfürsorge auch und gerade für Psychotherapeuten besonders wichtig. Neben dem Rückhalt in meiner Familie ist dabei der Wassersport – und hier insbesondere das Tauchen – zu meinem perfekten Ausgleich geworden.
Meine Eltern berichten, dass ich bevor ich richtig Schwimmen lernte, bereits tauchen konnte. Ich erinnere mich an sonntägliche Schwimmbadausflüge mit der ganzen Familie, wo ich es herrlich fand, mich im Wasser zu bewegen, auf den Beckengrund zu tauchen und nach Schätzen wie Haarnadeln, Münzen oder Ähnlichem zu suchen. Ich besaß dafür eine Schwimmbrille mit gelben Gläsern, die die Unterwasserwelt in einem eigentümlichen Licht erscheinen ließ. Im Sommer an der Nordsee war ich dann doch etwas enttäuscht, unter Wasser wegen des durch die Brandung aufgewühlten Untergrundes nicht viel sehen zu können. Was für eine berauschende Erfahrung war es da, ein paar Jahre später in Italien, am Tyrrhenischen Meer, in klarem, warmem Wasser zu schwimmen und zu tauchen, kleine Fische, den Sandboden oder im Freiwasser treibende Quallen zu beobachten!
Ich weiß nicht mehr genau, wann ich die erste eigene Tauchermaske erhielt. Ich erinnere noch, dass mein Onkel mich mit seiner schwarzen, professionell wirkenden Tauchermaske, mit Schnorchel und Schwimmflossen beeindruckte, als wir in einem heißen fränkischen Sommer von einem Badeponton aus im Main schwammen. Unsere erste familieneigene Maske, und auch die zugehörigen Flossen meine ich, waren gelb. Es war die Zeit, in der Jacques Cousteau mit seinen Filmen und Büchern die Öffentlichkeit über die stille Welt unter Wasser begeisterte. Regelmäßig bekam ich zu Geburtstagen oder zu Weihnachten Bücher über Wale, Haie oder Kraken, die ich verschlang. Offensichtlich hatte sich meine Leidenschaft für das Meer herumgesprochen. Während ich im Urlaub am Meer immer gerne schnorchelte, kam ich lange nicht auf die Idee, richtig tauchen zu lernen. Erst während des Studiums in Konstanz am Bodensee, Anfang der 90er Jahre hatte ich kurz den Plan, einen Gerätetauchkurs an der Uni zu machen, verwarf diesen aber aus Kostengründen wieder.
Es dauerte bis 2011, als ich während eines wunderbaren Kretaurlaubes beim Schnorcheln Oktopusse und Fragmente griechischer Amphoren entdeckte und von der Unterwasserwelt wieder so in den Bann gezogen wurde, dass ich unbedingt wissen wollte, wie es sein würde, länger als eine Minute dort unten bleiben und sich in Ruhe umsehen zu können. In dem Tauchartikelladen in Kiel-Friedrichsort, in dem ich gerade meine neue ABC-Ausrüstung (Maske, Schnorchel, Flossen) gekauft hatte meldete ich mich zum Schnuppertauchen an. Mein erster Gerätetauchgang fand am Skagerrakufer in Kiel statt. Als ich fertig „angerödelt“ war, in eng sitzendem Neoprenanzug, schwer bepackt mit knapp 40 Kilogramm Tauchgerät und Blei, war mein erster Gedanke auf dem Weg zum Wasser „Das ist nichts für mich! Viel zu umständlich, viel zu schwer, Schnorcheln ist viel schöner!“
Oli, der Tauchlehrer, erklärte mir im brusttiefen Wasser kurz alles Notwendige und schon ging es los: Atemregler in den Mund, Kopf unter Wasser und fallen lassen. Die Körperhaltung so, wie beim Fallschirmspringen. Wow, was war das? Schwerelosigkeit! Nur das Blubbern der eigenen Luftblasen in den Ohren. Und das Beste: Weiteratmen unter Wasser! Im flachen, überraschend klaren Wasser am Grund ganz viel buntes Leben: Seesterne, Seegras, Strandkrabben, Fische, Muscheln, Quallen – Schweben durch ein baltisches Aquarium! Ein Blick auf den Tiefenmesser zeigte 6 Meter! Das hätte ich gar nicht gemerkt, der Druckunterschied zur Schwimmbadtiefe unbedeutend. Es war um mich geschehen! Ja, Schnorcheln ist leichter, aber Gerätetauchen ist eine ganz andere Erfahrung!
Seither habe ich zahlreiche Tauchgänge und Tauchurlaube absolviert im Plöner See, im Kreidesee in Hemmoor und in der Ostsee in Deutschland, Dänemark und Schweden, in der Nordsee in Norwegen, im Mittelmeer in Kroatien und Italien und im Roten Meer in Ägypten. Von Anfang an ist fast immer auch eine Kamera zum Fotografieren und Filmen dabei, um die Tauchgänge, die meistens viel zu schnell vorbei sind, anschließend noch einmal in Ruhe nachzuerleben, um Fische zu bestimmen und Videoclips zusammen zu schneiden.
Für mich als Psychotherapeuten hat das Tauchen dabei noch weitere, psychologische Aspekte: Wir bewegen uns beim Schwimmen und Tauchen im Wasser, dem Element, aus dem wir geboren wurden und aus dem wir zum größten Teil bestehen. Deshalb glaube ich daran und erlebe es auch an mir selbst, dass Wasser eine positive Wirkung auf uns hat. Viele Menschen beschreiben, bei einem Spaziergang am Wasser eine Verbindung zu erleben, einen wohltuenden Effekt. Beim Schwimmen und Tauchen geht es schließlich darum, sich diesem Element anzuvertrauen, in es zurück zu kehren, sich dort hinein sinken zu lassen. Das hat immer auch mit dem Überwinden von Angst zu tun. Beim Gerätetauchen und besonders intensiv beim Apnoetauchen erlebe ich, wie das Fallenlassen, das sich selbst und dem eigenen Körper Vertrauen eine reinigende und stärkende Wirkung hat, die sich beim Wiederauftauchen oft in einem Lächeln in den Gesichtern der Taucherinnen und Taucher zeigt. Es scheint, als seien Alltagsbelastungen und Stress wasserlöslich.